Drei Fragen an Prof. Timo Ulrichs
Timo Ulrichs über Krankheit als Fluchtursache

„Angst vor Krankheit ist ein Grund für Flucht“

Die Folgen der Klimakrise schlagen immer mehr Menschen in die Flucht. Damit sie bleiben können, ist ein funktionierendes Gesundheitssystem in den Herkunftsländern zentral – sagt Timo Ulrichs, Professor für internationale Not- und Katastrophenhilfe in Berlin.

Interview von Tilmann Eicke

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Timo Ulrichs, gibt es blinde Flecken beim Thema Flucht und Klimakrise?

Timo Urlichs: Den meisten Menschen ist bewusst, dass Überschwemmungen, Stürme und andere Naturkatastrophen immer wieder dazu führen, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen. Auch dass der Anstieg des Meeresspiegels dazu führt, dass ganze Inselgruppen verschwinden, ist bekannt. Was wir dagegen weniger mitbekommen, sind die mittelfristigen Folgen der Klimakrise. Etwa im östlichen Afrika, wo es seit vielen Jahren nicht mehr geregnet hat. Halbnomadische oder nomadisch lebende Gruppen verlieren dadurch ihre Lebensgrundlage.

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Für die Betroffenen ist das eine Katastrophe. Wie gehen Sie als Experte für Katastrophenhilfe damit um?

In der Entwicklungszusammenarbeit muss man jetzt schmerzhafte Fragen stellen. Etwa, ob es überhaupt sinnvoll ist, in einer Gegend zu investieren, die auf Dauer nicht mehr bewohnbar sein wird. Oder ob es nicht besser wäre, Migration zu unterstützen und woanders eine Lebensgrundlage zu schaffen.

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Wer keine Lebensgrundlage mehr hat, verlässt seine Heimat.

Menschen zu versorgen, die vor Dürre oder Krieg fliehen, war immer schon eine Herausforderung. Das hat sich durch die Klimakrise noch verschärft. Ein Beispiel ist das Flüchtlingslager Dadaab im Norden Kenias. Dort leben seit über 30 Jahren Menschen, wir sprechen deshalb von einer Chronifizierung des Lagers, das ja eigentlich im Rahmen der akuten humanitären Hilfe aufgebaut wurde. Wie versorgt man diese Menschen, die in einer Gegend leben, in der es dafür nicht genügend Ressourcen gibt – insbesondere Trinkwasser? Wir müssen den Menschen woanders eine Perspektive geben. Es kann nicht sein, dass Menschen immer hin- und hergeschoben werden und nie die Möglichkeit bekommen, sich ein Leben aufzubauen.

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Sie sind auch Facharzt für medizinische Mikrobiologie. Wie hängen Gesundheit und Flucht zusammen?

Die Menschen fühlen sich nur dann sicher, wenn Sie eine gute Gesundheitsversorgung erhalten. Sobald das nicht mehr der Fall ist, entsteht eine große Unsicherheit: Was ist, wenn ich krank werde? Was passiert, wenn sich ein Familienangehöriger verletzt? Dann machen Sie sich auf den Weg – und sei es in ein Flüchtlingslager. Auch Angst vor Krankheit ist ein Grund für Flucht.

Diese Situation wird durch die Klimakrise noch verkompliziert. Erreger verbreiten sich in zuvor nicht betroffene Regionen (z.B. Malariaerreger oder das Ebolavirus), und es gibt Gegenden, in denen die Menschen es im Sommer nicht mehr aushalten. Gleichzeitig machen Dürren ganze Ernten zunichte und die Menschen können sich nicht mehr gesund ernähren.

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Was kann Deutschland von heißeren Ländern lernen? Hitze ist auch hier ein zunehmend wichtiges Thema.

Das stimmt. Man kann sich die übers Jahr verteilte Sterblichkeit in Deutschland ansehen und findet dann immer in den Sommermonaten kleine Ausschläge, also eine Übersterblichkeit – und zwar immer dann, wenn wir eine große Hitzewelle hatten.

In Südafrika haben wir gerade ein neues Kooperationsprojekt angestoßen, bei dem es um die Frage geht, wie wir mit Klimawandelfolgen umgehen können. Südafrika erstreckt sich teilweise in die subtropische Klimazone. Das heißt, dass die Menschen dort Hitzewellen gewöhnter sind. Zwei Dinge sind entscheidend: Ausreichend Verschattung und Trinkwasser. Hier können wir von Südafrika lernen - denn noch bieten unsere Städte in Deutschland zu wenig Schatten. Auch die Verfügbarkeit von kostenlosem Trinkwasser sollten wir ausbauen.

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Am 23. Februar wird voraussichtlich der Bundestag neu gewählt. Was fordern Sie von der künftigen Regierung?

Vernünftige Entwicklungspolitik bedeutet für mich, dass wir nicht nur aus Eigeninteresse Geld geben, etwa weil wir die Zuwanderung begrenzen wollen. Was wir brauchen, sind gute Projekte, mit denen wir die Folgen der Klimakrise in den am stärksten betroffenen Regionen abfedern. Schließlich haben wir in Europa durch den jahrzehntelangen Verbrauch fossiler Energien an meisten zu der aktuellen Situation beigetragen. Die nächste Bundesregierung darf die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf keinen Fall kürzen.

Timo Ulrichs ist Professor für internationale Not- und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin. Er studierte Medizin in Marburg und Berlin. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im Ausland wechselte er an das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, wo er sich mit der Immunologie der Tuberkulose beschäftigte. Er erwarb den Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Von 2006 bis 2021 wechselte er als Referent an das Bundesministerium für Gesundheit und promovierte an der Universität Bielefeld zum Doctor of Public Health. 2018 gründete Ulrichs das Institute for Research in International Assistance (IRIA).

Die Akkon Hochschule mit dem IRIA sind Partner der WeACT Con.